Injurienprozesse am  Reichskammergericht - Ziel und Inhalt der Realinjurienklage im Fall  Lackum
      von Isabel Neuberth
 Das  Reichskammergericht
      Das 1495 gegründete  Reichskammergericht stellte in der Frühen Neuzeit neben dem  Reichshofrat die höchste Gerichtsbarkeit für Untertanen des  Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation dar. Die Zuständigkeit  des Reichskammergerichts war vor allem in zivilrechtlichen  Angelegenheiten gegeben, wobei zwischen zwei Verfahrensarten  unterschieden wurde.1 Zum einen gab es den erstinstanzlichen ordentlichen Zivilprozess, der  es reichsunabhängigen Personen und Städten, die keinem anderen  Gericht unterstanden, und Angehörigen des Gerichts ermöglichte,  ihre Angelegenheiten zu verhandeln. 
      Zum anderen gab es den  Appellationsprozess, ein zweitinstanzliches Verfahren, mit dem die  Überprüfung der Urteile der Vorinstanzen durch Berufung erreicht  werden sollte.
      In  strafrechtlichen Angelegenheiten konnte das Reichskammergericht nur  dann angerufen werden, wenn gegen elementare Grundsätze des  Prozessrechtes verstoßen worden war. Hierbei handelte es sich um  sogenannte Nichtigkeitsklagen. Des weiteren wurden Mandatsprozesse,  also Verfahren bei denen durch ein strafbewehrtes Gebot Handlungen  oder Unterlassungen gefordert wurden,2 vor dem Reichskammergericht geführt.
Der römisch-  rechtliche Injurienprozess
      Eine Injurienklage  führte zum Injurienprozess, einem Verfahren, das nach bestimmten  Regeln abzulaufen hatte. Die aus der römischen Rechtsprechung  entstammenden und im Corpus Iuris Civilis verankerten Klagen waren  vor allen Dingen Bußklagen wegen der Missachtung fremder  Persönlichkeit3 und behandelten, wie der Name Injurien (abgeleitet vom lateinischen  Begriff „iniuria“) nahe legt,  Ehrschädigungen durch  Beleidigungen und Ungerechtigkeiten. 
      Im Zuge der Rezeption  des römischen Rechts wurde in der Frühen Neuzeit diese Klageform  des Injurienprozesses häufig angewendet und konnte sowohl  strafrechtliche als auch zivilrechtliche Folgen haben.4 So konnten zum Beispiel Gefängnisstrafen, Pranger und Landesverweis  auf der einen und Widerrufe und Geldstrafen auf der anderen Seite aus  einer Injurienklage resultieren. 
      Grundsätzlich lassen  sich mehrere Arten von Injurienklagen unterscheiden, von denen zwei  die wichtigsten darstellen: Der Prozess gegen eine Verbalinjurie,  eine Beleidigung und Ehrverletzung durch Aussagen, konnte außer dem  Ziel der Wiederherstellung der Ehre auch die Absicht haben, dem  erhobenen Vorwurf einer strafbaren Handlung entgegenzuwirken,5 indem der Verleumder beklagt und die Unschuld des Klägers  nachgewiesen wurde. Die andere häufigste Form der Injurienklage  wurde gegen die sogenannte Realinjurie, eine Ehrverletzung durch  tätliche Handlungen, zumeist mit der Folge eines körperlichen  Schadens, eingeleitet. So gehörten zu den Realinjurien die Anwendung  von Gewalt, wie etwa Faustschläge und andere Verletzungen, und die  unrechtmäßige Gefangennahme. Wie der Fall Lackum deutlich macht,  konnte unter Umständen aber auch eine unrechtmäßige Hinrichtung  darunter verstanden werden.6
 Injurienprozesse  gegen die Obrigkeit
        Für die Untertanen des  Reiches gab es neben den Klagen gegen andere Untertanen somit auch  die Möglichkeit der Injurienklage gegen die Obrigkeit, zum Beispiel  gegen Richter und Gerichte im Fall einer unrechtmäßigen  Gefangennahme, peinlicher Tortur oder Tod in der Haft vor dem  Reichskammergericht. So schrieb 1596 einer der Prokuratoren am  Reichskammergericht, Andreas Pfeffer, dass es sogar üblich war,  Richter durch Injurienprozesse zu belangen.7 Es ist allerdings davon auszugehen, dass die meisten derartigen  Injurienprozesse erst nach der Hinrichtung oder dem Tod des Opfers  von den Angehörigen vor das Gericht gebracht wurden, damit das  Reichskammergericht darüber entscheiden konnte, ob die Vorinstanzen  „wohl“ oder „übel“ geurteilt hatten.8 
      Fragt man allgemein  nach den Erfolgschancen des Injurienprozesses, so kann man sehen,  dass diese stiegen, wenn der Kläger in der Gesellschaft angesehen  war und Zeugen vorweisen konnte, die seine Ehre und sein Ansehen  bezeugen konnten, beziehungsweise seine Unschuld beweisen konnten.9 So war es Prozessstrategie der Kläger anhand von Zeugen das  Verdachtsmoment gegen sich selbst zu entkräften. Im Gegenzug  versuchte der Beklagte, diesen Verdacht zu bekräftigen und zu  beweisen.10 
      Durch den hohen  finanziellen Aufwand bedingt, wurden Injurienklagen nur bei schweren  Ehrschädigungen oder bei guter Aussicht auf Erfolg angestrebt und  ansonsten andere Formen der Wiederherstellung der Ehre, wie etwa  Brüchtenverfahren, gewählt.
Die Injurienklage im  Fall Lackum
             Im  Fall Lackum wurde durch die Witwe Agnes Lackum und ihre Kinder  Dietrich und Christine eine Realinjurienklage gegen die fürstliche  Regierung ( die kleve- märkischen Räte), den Drosten des Amtes  Wetter und die Richter von Wetter und Hagen wegen erlittener Schmach  und Schande eingereicht.11 Die Familie forderte eine Entschädigungszahlung von 40.000  Goldgulden von den Beklagten. Als Begründung nannte die Familie den  Tod des Anton Lackum, der durch die unangemessenen Haftbedingungen krank  geworden sei und über dessen Krankheit und Tod die Familie erst spät  in Kenntnis gesetzt worden sei. Auch sei Georg Lackum unschuldig und  unrechtmäßig hingerichtet worden, weswegen er zur Wiedererlangung  der Ehre ein christliches Begräbnis bekommen solle. Außerdem hätte  der Drost Dietrich Lackum ohne Grund angegriffen und dessen Ehre  verletzt, weswegen seine Frau ihr Kind verloren hätte. Der Drost  solle für diese Ehrverletzung nochmals 5.000 Goldstücke zahlen. Des  weiteren sei der Verdächtige Jasper von der Ruhr freigelassen  worden, was der Familie Spott und somit weitere Ehrverletzungen  eingebracht hätte.
Im  Fall Lackum wurde durch die Witwe Agnes Lackum und ihre Kinder  Dietrich und Christine eine Realinjurienklage gegen die fürstliche  Regierung ( die kleve- märkischen Räte), den Drosten des Amtes  Wetter und die Richter von Wetter und Hagen wegen erlittener Schmach  und Schande eingereicht.11 Die Familie forderte eine Entschädigungszahlung von 40.000  Goldgulden von den Beklagten. Als Begründung nannte die Familie den  Tod des Anton Lackum, der durch die unangemessenen Haftbedingungen krank  geworden sei und über dessen Krankheit und Tod die Familie erst spät  in Kenntnis gesetzt worden sei. Auch sei Georg Lackum unschuldig und  unrechtmäßig hingerichtet worden, weswegen er zur Wiedererlangung  der Ehre ein christliches Begräbnis bekommen solle. Außerdem hätte  der Drost Dietrich Lackum ohne Grund angegriffen und dessen Ehre  verletzt, weswegen seine Frau ihr Kind verloren hätte. Der Drost  solle für diese Ehrverletzung nochmals 5.000 Goldstücke zahlen. Des  weiteren sei der Verdächtige Jasper von der Ruhr freigelassen  worden, was der Familie Spott und somit weitere Ehrverletzungen  eingebracht hätte.
      Hier  wird deutlich, dass die Ehre für frühneuzeitliche Bürger von  großer Bedeutung war. Agnes Lackum wollte mit ihrer Klage nicht nur  die Ehre der lebenden Familienmitglieder retten, sondern auch die der  Verstorbenen. Zum einen zeigt dies die Verbindung zwischen  individueller und gruppenspezifischer Ehre, zum anderen die Bedeutung  der Ehre über den Tod hinaus.12
      Die  Besonderheit der Injurienklage der Familie Lackum liegt darin, dass  das Reichskammergericht direkt damit betraut wurde. In diesem Rahmen  wurde auch der Aspekt der Nichtigkeit  im Strafverfahren gegen Georg  und Anton Lackum angesprochen. Das Reichskammergericht entschied  sich, am 4. Dezember 1593 eine Citatio (Ladung) wegen der  Injurienklage ausgehen zu lassen.13 Damit mußten Räte, Drost und Richter als Vertreter der  territorialen Obrigkeit ihr Handeln rechtfertigen. Zusammenfassend  lässt sich sagen, dass Untertanen im Reich Injurienklagen als eine  wirkungsvolle Möglichkeit ansahen, um Ehrschädigungen sowohl durch  verbale als auch reale Angriffe entgegenzuwirken. Ebenso versuchten  sie dabei, sich gegen Ungerechtigkeiten im Strafvollzug zu wehren.  Dass das Reichskammergericht den Klägern im Fall Lackum zunächst  entgegenkam, kam aber keinem endgültigen Urteil gleich. Das  Verfahren sollte noch über Jahre schweben.
1 Scheurmann, Ingrid: Organisation des Reichskammergerichts, in: Frieden und Recht. Das Reichskammergericht von 1495 bis 1806, Mainz, 1994, S. 118.
2 Oestmann, Peter: Hexenprozesse am Reichskammergericht, Köln, Weimar, Wien 1997, S. 73. (im Folgenden zitiert als: Oestmann, 1997)
3 Oestmann, 1997, S. 58.
4 Oestmann,1997, S. 58.
5 Oestmann, 1997, S. 58.
6 Fuchs, Ralf- Peter: Um die Ehre. Westfälische Beleidigungsprozesse vor dem Reichskammergericht 1525-1805, (Forschungen zur Regionalgeschichte 28) Paderborn 1999, S. 152. (im folgenden zitiert als: Fuchs, 1999)
7 Oestmann, 1997, S. 59.
8 Oestmann, 1997, S. 59.
9 Fuchs, Ralf- Peter: Der Vorwurf der Zauberei in der Rechtspraxis des Injurienverfahrens. Einige Reichskammergerichtsprozesse westfälischer Herkunft im Vergleich, in: ZNR 17, S. 29.
10 Fuchs, Ralf- Peter: Hexerei und Zauberei vor dem Reichskammergericht, Wetzlar 1994, S. 39ff.
11 LAV NRW W, RKG L 24, Bd. 1, fol. 21ff. (auch folgende Inhalte der Injurienklage an dieser Stelle)
12 Fuchs, 1999, S. 270.
13 „copia mandati de relaxandis bonis cum citatione, necnon Mandato de non offendendo pendentelite. Item compulsoriales & citatio super iniuriis” LAV NRW W, RKG L 24, Bd. 1, fol. 1ff.
