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Die territorialen und politischen Verhältnisse im Ruhr-Lippe-Raum um 1590
von Sascha Bielefeld

Der Ruhr-Lippe-Raum um 1590 im Überblick
Der Tatort des Mordfalls Lackum befindet sich in dem Gebiet, das wir heutzutage gemeinhin als das „Ruhrgebiet“ bezeichnen. Für die Frühe Neuzeit ist dieser Begriff allerdings nicht ohne Probleme anwendbar, da er die territorialen Verhältnisse dieser Zeit nicht adäquat wiedergibt.1 Auch der konstruierte Begriff „Ruhr-Lippe-Raum“ stellt in diesem Sinne nur eine Notlösung dar, die den grob definierten Raum zwischen Ruhr und Lippe allein auf der Basis geographischer Gegebenheiten beschreibt.2 Die realen territorialen und politischen Verhältnisse werden bei dieser Benennung außen vor gelassen. Deren Betrachtung ist jedoch in soweit von Bedeutung, weil der Ruhr-Lippe-Raum um 1590 ein heterogenes Territorienkonglomerat darstellte, das aus verschiedenen, unterschiedlich regierten Territorien bestand, die eigenständige politische Einheiten bildeten.

Die territoriale Landkarte des Ruhr-Lippe-Raums im 16. Jahrhundert
Es waren sechs Territorien, die sich zum Teil nur partiell indiesem Gebiet befanden. Von Westennach Osten handelte es sich umdas Herzogtum Kleve, das Herzogtum Berg, die Abtei Essen-Werden, das Vest Recklinghausen, die Grafschaft Mark und diefreie Reichsstadt Dortmund.3 Letztere und die Abtei Essen-Werden stellten von Landesherrschaften unabhängige Gebilde dar. Andere Territorien waren unter der Herrschaft eines gemeinsamen Landesherren zu Verbünden zusammengeschlossen. So gehörte das Vest Recklinghausen zum territorialen Verbund des Kurfürstentums Köln.4 Einen ähnlichen Verbund stellten die Herzogtümer Kleve und Berg sowie die Grafschaft Mark dar, die mit dem Herzogtum Jülich und der Grafschaft Ravensberg zum Besitz der Herzöge zu Kleve gehörten.5

Das politische System der Frühen Neuzeit – Reich und Territorien
Politik wurde im „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“ bzw. dem „Alten Reich“ in der Frühen Neuzeit vor allem auf zwei Ebenen gestaltet: Reich und Territorien.6
Das Reich stellte die übergeordnete Einheit des politischen Systems dar. An seiner Spitze stand der König oder Kaiser. Dieser war de iure der höchste Potentat im Reich. Tatsächlich war seine Position seit dem 12. Jahrhundert allmählich durch die stetige Bedeutungszunahme des Adels und der Territorien geschwächt worden, so dass eine vorrangige Aufgabe der Reichsinstitutionen darin bestand, die Einigkeit der Territorien im Alten Reich zu gewährleisten.7 Der Kaiser besaß das Recht den Reichstag einzuberufen. Dieser sollte als Instrument supraterritorialer Reichspolitik fungieren.8
Eine weitere Institution, in der sich das Reich organisierte, stellten die Reichskreise dar. Im Wesentlichen wurden sie wegen ungeordneter politischer und rechtlicher Verhältnisse im Reich um 1500 im Rahmen der Reichsreform9 eingerichtet und sollten für eine optimierte Verwaltung des Reiches sorgen.10 Schließlich bildeten sich im Reich auch zwei hohe Reichsgerichte aus: Das Reichskammergericht und der Reichshofrat.
In den Reichskreisen wurden jeweils mehrere Territorien zusammengefasst. Die Entstehung dieser Territorialstaaten reicht bis ins 12. Jahrhundert zurück.11 Sie emanzipierten sich kontinuierlich vom Reich und vom Kaiser und stellten in der Frühen Neuzeit längst eigenständige politische Gebilde mit eigener Verfassungsstruktur dar. Es lassen sich sieben wesentliche Merkmale festmachen, durch die Territorien definiert waren.12 Innerhalb eines konkret abgegrenzten Herrschaftsbereiches galt eine einheitliche Herrschaftsordnung (1.). Der Landesherr vereinigte die oberste Gewalt über Gerichtsbarkeit, Gesetzgebung und das Militär auf sich. Der Landesherr stellte in seinem Territorium die reguläre Obrigkeit dar. Die Bewohner des Territoriums waren seine Untertanen. Es existierte ein eindeutiges „Über- und Unterordnungsverhältnis“13 (2.). Die politische Macht des Landesherren schwebte nicht im luftleeren Raum. Er war vom Kaiser als Inhaber der Herrschaft des jeweiligen Territoriums anerkannt (3.). Doch der Landesherr gestaltete die Politik nicht allein. Als Instrument seiner Herrschaft stand ihm ein Verwaltungsapparat zur Verfügung, der auf dem Ämterprinzip basierte (4.). Das heißt, verschiedene administrative Aufgaben wurden vom Landesherren auf unterschiedliche Beamte verteilt. Diese Organisationsform sorgte für eine „Entpersonalisierung und Abstrahierung des Herrschaftsbegriffs“14 (5.). Ein politisches Gegengewicht stellten die Landstände dar, die das Land gegenüber dem Herrscher auf den Landtagen vertraten (6.). Dieses System wird gemeinhin als die „dualistische Struktur“15 der frühneuzeitlichen Territorien bezeichnet (7.).

Die politischen Strukturen in den jülich-klevischen Ländern
Wetter lag in der Grafschaft Mark. Der Herzog von Kleve war seit 1521 zugleich Herzog von Jülich, Herzog von Berg, Graf von Ravensberg, Graf von der Mark und Herr über Ravenstein. Jedes dieser Territorien blieb jedoch in gewissem Umfang selbstständig. „Eine wirkliche Verschmelzung der Lande“16 wurde nicht erreicht.17Die Landesherrschaft über die Vereinigten Herzogtümer lag bei den klevischen Herzögen. Von 1521 bis 1539 regierte Johann III. Ihm folgte Wilhelm V., welcher 1592 von seinem Sohn Johann Wilhelm abgelöst wurde, der 1609 starb. Zur Zeit des Mordfalls Lackum war also Wilhelm V. Herzog über die Vereingten Herzogtümer.18 Beim Zusammenschluss der Territorien 1521 wurde überwiegend darauf verzichtet, zentralisierte Behörden für den gesamten Territorienverband einzurichten. Stattdessen existierten viele Regierungs- und Verwaltungsinstitutionen doppelt.19 Die Regierung über die Herzogtümer Jülich und Berg tagte in der Regel in Düsseldorf, die Regierung über das Herzogtum Kleve und die Grafschaft Mark zumeist in Kleve.20 Die Landstände waren entsprechend in Unionen organisiert. Kleve-Mark und Jülich-Berg bildeten jeweils Ständeunionen.21

1 Zur Problematik des Begriffs „Ruhrgebiet“ in der frühen Neuzeit siehe auch Ralf-Peter Fuchs, Hexenverfolgung an Ruhr und Lippe. Die Nutzung der Justiz durch Herren und Untertanen, Münster 2002 (im Folgenden zitiert als: Fuchs, 2002), S. 12f.

2 Der Ruhr-Lippe-Raum lässt sich grob umreißen, indem man im Norden die Lippe, im Süden die Ruhr, sowie im Westen den Rhein und im Osten die Städte Hamm und Schwerte als Grenzen annimmt. Vgl. Fuchs, 2002, S. 13.

3 Karte nach Rothert, Hermann: Westfälische Territorien um 1500, [URL: http://www.westfaelische-geschichte.de/kar106 ] (25.08.09)

4 Fuchs, 2002, S. 13.

5 Kloosterhuis, Jürgen: Fürsten, Räte, Untertanen. Die Grafschaft Mark, ihre lokalen Verwaltungsorgane und die Regierung zu Kleve. 1. Teil, in: Der Märker 35 (1986), H. 1 (im Folgenden zitiert als: Kloosterhuis, 1986), S. 3.; Smolinski, Heribert: Jülich-Kleve-Berg, in: Anton Schindling und Walter Ziegler (Hg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500-1650, Bd.3, Münster 1996 (im Folgenden zitiert als: Smolinski, 1996), S. 88.

6 Die Aufsplittung der Territorien in Ämter, Gerichte etc. bleibt in diesen Ausführungen unberücksichtigt. Siehe Kloosterhuis, 1986.

7 Sante, Georg Wilhelm (Hg.): Geschichte der Deutschen Länder. Territorien-Ploetz, Bd. 1, Die Territorien bis zum Ende des alten Reiches, Würzburg 1964 (im Folgenden zitiert als: Sante, 1964), S. 32, 35.

8 Sante, 1964, S. 35-39.

9 Neben den Reichskreisen zählten zu den Neuerungen der Reichreform der „Ewige Landfriede“, die Einsetzung des Reichskammergerichts, und die Schaffung des Reichsregiments. Sante, 1964, S. 40ff.

10 Auf Reichskreisebene soll zum einen für die Einhaltung des Landfriedens gesorgt werden, wofür den Reichskreise auch militärische Organisationsgewalt in die Hand gelegt wird. Zum anderen sollen die Reichskreise dafür Sorge tragen, dass die Urteile des Reichskammergerichts vollstreckt werden. Siehe Sante, 1964, S. 40ff.

11 Bis dato umfasste die Herrschaft eines Herzogs lediglich einen Stamm und kein bestimmtes begrenztes Gebiet. Mit der Emanzipation anderer Adeliger in „unbeherrschten“ Gebieten und ihrer Anerkennung durch den König, verfestigte sich zunehmend die Herrschaft über Regionen. Siehe Sante, 1964, S. S. 9 und 17f.

12 Die folgende Definition orientiert sich an Janssen, Wilhelm: Kleve-Mark-Jülich-Berg-Ravensberg 1400-1600, in: Land im Mittelpunkt der Mächte. Die Herzogtümer Jülich, Kleve, Berg (Ausstellung in Kleve und Düsseldorf vom 15. September 1984 bis zum 24. Februar 1985), Kleve 1985 (im Folgenden zitiert als: Janssen, 1985), S. 22f.

13 Janssen, 1985, S. 22.

14 Janssen, 1985, S. 22.

15 Janssen, 1985, S. 23.

16 Smolinsky, 1996, S. 88.

17 Smolinsky, 1996, S. 88.

18 Smolinsky, 1996, S. 87.

19 Beispielhaft für die unorganisierte komplizierte Verwaltung steht der Hofrat des Herzogs. Zunächst existierte jeweils einer in Düsseldorf und einer in Kleve. Problematisch wurde diese Lösung als der Herzog im Laufe des 16. Jahrhunderts keine feste Residanzstadt mehr hatten, sondern stattdessen zwischen verschiedenen Orten „pendelte“. Daher wurde ein weitere Rat eingerichtet, der sog. „folgende Rat“, welche den Herzog auf seinen Reisen begleitete. Politische Entscheidungen konnte dieser Rat allerdings auch nur in Abstimmung mit den „bleibenden Räten“ in Düsseldorf und Kleve treffen. Smolinski, 1996, S. 88; Janssen, 1985, S. 24; Becher, Oliver: Herrschaft und autonome Konfessionalisierung. Politik, Religion und Modernisierung in der frühneuzeitlichen Grafschaft Mark, Essen 2006, S. 21.

20 Düsseldorf als vormalige Residenzstadt Jülich-Bergs und Kleve als ehemalige Hauptstadt Kleve-Marks. Smolinski, 1996, S. 88; Janssen, 1985, S. 24.

21 Janssen, 1985, S. 26ff; Smolinsky, 1996, S. 88.

 

Layout by Dominik Greifenberg