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Recht und Strafe in der Frühen Neuzeit
von Carolin Höfinghoff

Im Folgenden soll kurz das frühneuzeitliche Strafensystem dargestellt werden. Dabei ist grundsätzlich zu bemerken, daß die frühneuzeitlichen Obrigkeiten sehr flexibel mit den Rechtsnormen umgingen. Vielfach verzichteten sie auf die Anwendung grausamer Strafen und ließen das Prinzip der Gnade zur Geltung kommen.

Die Geldstrafe
Geldstrafen, in Westfalen Brüchten genannt, spielten im 16. Jahrhundert noch eine bedeutende Rolle. Sie wurden wegen Ordnungsvergehen und Prügeleien verhängt. In Württemberg wurde noch 1668 festgelegt, dass man für einen „kleinen Frevel“ drei Gulden und fünfzehn Kreuzer zu bezahlen hatte. Selbst bei Totschlagsdelikten wurden im 16. Jahrhundert häufig Geldstrafen an die Obrigkeit und Sühnegelder an die Hinterbliebenen eines Opfers bezahlt. Voraussetzung war jedoch, dass eine solche Tat ohne Vorsatz und niedrige Beweggründe ausgeführt worden war.1

Die Ehrenstrafe
Ehrenstrafen gehörten zu den am häufigsten durchgeführten Strafen der Frühen Neuzeit. Sie hatten zur Folge, dass der Delinquent an seiner Ehre verletzt wurde. Er wurde z.B. an den Pranger oder an die Kirchentür angekettet und war damit für jederman als Übeltäter sichtbar. Oft musste der Delinquent ein Zeichen tragen, das die Tat, die ihm vorgeworfen wurde, verdeutlichte. Dies konnte ein gestohlener Gegenstand oder eine Tafel sein, auf der das Verbrechen niedergeschrieben worden war. Häufig wurde in Kombination mit einer Ehrenstrafe der Landesverweis ausgesprochen.2

Die Leibesstrafe und die Todesstrafe
Leibesstrafen gehörten wie die Ehrenstrafen zu den Peinlichen Strafen. Diese durften nur von der Hochgerichtsbarkeit ausgesprochen werden. Bei der Leibesstrafe wurden dem Delinquenten Schmerzen zugefügt. Gleichzeitig sollten Wunden und Male ihn als Straftäter kennzeichnen.3 Jemandem, der einen Meineid geschworen hatte, drohte z.B. die Abtrennung der Schwurfinger. Die Strafe wies damit direkt auf die Straftat hin. Außerdem verhinderte diese Strafe, dass ein Täter die gleiche Tat noch einmal wiederholen konnte. Da in diesem Falle der Täter für alle sichtbar sein Leben lang als Straftäter gekennzeichnet wurde, hatte diese Leibesstrafe den gleichen Effekt wie eine Ehrenstrafe.4
Neben dem Abtrennen von Körperteilen finden wir in der Frühen Neuzeit noch weitere Leibesstrafen, wie das Brandmarken, das Ausstäupen und das Kneifen mit einer glühenden Zange. Mit diesen Leibesstrafen gingen die frühneuzeitlichen Obrigkeiten ebenfalls sehr flexibel um. Die tatsächliche Schwere der Bestrafung wurde oft an der Schwere der Tat gemessen.
Die Todesstrafe war die schlimmste Leibesstrafe, die einen Täter erwarten konnte. Sie wurde aber, auch wenn sie in der Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. (Carolina) für bestimmte Delikte festgelegt worden war, keineswegs immer ausgesprochen. 5
Laut der Peinlichen Halsgerichtsordnung hing die Form der Hinrichtung von der Straftat ab.6 Hier wurden für verschiedene Vergehen verschiedene Hinrichtungsarten festgelegt. Beispielsweise erwartete einen Brandstifter das Verbrennen. Die Strafe für Kindesmord war das Ertränken, wobei zumeist Frauen der Kindstötung beschuldigt wurden.7 Einen Dieb oder Räuber erwartete der Tod durch den Strang. Mörder, die niedrige Beweggründe für ihre Tat hatten, wie z.B. Gattenmörder, sollten gerädert werden. Andere Morddelikte, die durch keine niedrigen Beweggründe verschlimmert waren, sollten mit der Hinrichtung durch das Schwert bestraft werden.7

Der Sinn des spätmittelalterlichen Strafsystems
Viele Strafen sollten die Übeltat widerspiegeln, was vor allem bei den Ehren-, Leibes-, und Todesstrafen feststellbar ist. Die Strafen machten Tat und Täter für alle sichtbar.8 Sie zielten weniger auf die Besserung des Täters ab als auf eine Sühne bzw. eine Vergeltung der Tat. Außerdem ging es um die abschreckende Wirkung. Deshalb wurden die Exekutionen in der Öffentlichkeit durchgeführt.9 Potenzielle Täter sollten durch die Leibesstrafen und Hinrichtungsmethoden von einem möglichen Vorhaben abgeschreckt werden. Allgemein sollten die Untertanen damit zu einem gottesfürchtigen und gesetzestreuen Leben geführt werden. Des weiteren demonstrierte die Justiz durch Verurteilungen die Macht der Obrigkeit über alle. Prinzipiell war also eine Hinrichtung immer auch ein Machtschauspiel bzw. ein „Theater des Schreckens“.10

Die Entwicklung zum modernen Strafensystem
Ein Problem des frühneuzeitlichen Strafsystems im Alten Reich lag mit fortschreitender Zeit darin, dass die Carolina - obwohl weitgehend bereits als veraltet empfunden - noch im 18. Jahrhundert de jure in Kraft blieb. Deshalb gehörten das Vierteilen und das lebendig Begraben noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts zu den laut Strafrechtsordnung zu verhängenden Strafen. In der Praxis wurden diese Strafen aber gar nicht mehr angewandt. So wurde häufiger auch bei schweren Morddelikten nur noch die Tötung durch das Schwert durchgeführt. Zuweilen wurden bereits vorher getötete Delinquenten gerädert oder verbrannt, um ihnen Schmerzen zu ersparen. Gleichzeitig änderte sich die Sicht auf die Vergehen.11
Außerdem änderten sich im Verlauf der Frühen Neuzeit die Ansichten über den Sinn von Strafen. Der Gedanke einer Besserung des Täters über den Strafvollzug wurde immer bedeutender. Zudem erkannte man, dass vor allem das System der Landesverweise nicht sinnvoll war, da verschiedene Territorien im Prinzip ihre Straftäter nur austauschten.12 In diesem Zusammenhang setzte sich das Gefängnis und das Arbeitslager immer mehr als hauptsächliche Art der Bestrafung durch. Michel Foucault hat daher von einer Geburt des Gefängnisses im 18. Jahrhundert gesprochen. Im Gefängnis konnte man die Straftäter für den Staat arbeiten lassen und gleichzeitig eine Besserung anstreben. So wurden die Todesstrafen und andere Leibesstrafen immmer mehr von der Gefängnisstrafe abgelöst. Foucault versteht diese Entwicklung von der Leibes- zur Gefängnisstrafe als einen allgemeinen Paradigmenwechsel der Macht- und Herrschaftstechniken.13


Quellenauszüge

Hinweis auf die Ehrenstrafe der Landesverweisung in der Akte Lackum

Wahr auch zum neundten daß ernanter Jasper und deßen Mutter sich deß deibstals unnd anderer vndathen auch beflißen unnd deren vbertzeugt worden, daher dann auch die mutter bei lebzeitten deß drosten selich deß landtz oder amptts Wetter ein langer zeit biß nach absterben gemeltes hern drostenn verwiest gewesen.“ (L NRW W, RKG L24, Bd. 2, fol. 215v.)

In der Akte Lackum wird auf die Ehrenstrafe der Landesverweisung eingegangen. Es zeigt sich, daß diese nicht mit einem lebenslangen Ehrverlust einherging. Lisa Voß, die Mutter des Jasper von der Ruhr, soll unter dem Vorgänger des Drosten Bernhard von Romberg des Landes verwiesen worden sein. Nach dessen Tod kehrte sie jedoch wieder nach Wetter zurück und lebte mit Jasper von der Ruhr im Fährhaus. Sie überführte gelegentlich die Einwohner von Wetter mit der Fähre über die Ruhr.

1 Wittke, Margarete: Mord und Totschlag? Gewaltdelikte im Fürstbistum Münster 1580-1620. Täter, Opfer und Justiz, Münster 2002. und Schwerhoff, Gerd: Köln im Kreuzverhör, Kriminalität, Herrschaft und Gesellschaft in einer frühneuzeitlichen Stadt, Bonn 1991.

2 Schnabel-Schüle, Helga: Überwachen und Strafen im Territorialstaat. Bedingungen und Auswirkungen des Systems strafrechtlicher Sanktionen im frühneuzeitlichen Württemberg Köln / Weimar / Wien 1997, S.143.

3 Rudolph, Harriet: Eine gelinde Regierungsart. Peinliche Strafjustiz im geistlichen Territorium. Das Hochstift Osnabrück, 1716-1803, Konstanz 2001, S. 163 – 165.

4 Schnabel-Schüle, 1997, S. 127 – 131.

5 Schnabel-Schüle, 1997, S.129.

7 Schnabel-Schüle, 1997, S.130.

8 Dülmen, Richard van: Theater des Schreckens, Gerichtspraxis und Strafrituale in der frühen Neuzeit, München 1985, S. 74.

9 Schnabel-Schüle, 1997, S.127.

10 Dülmen, 1985, S. 98.

11 Rudolph, 2001, S. 228 – 239.

12 Schnabel-Schüle, 1997, S.134.

13 Foucault, Michel: Überwachen und Strafen, Die Geburt des Gefängnisses, übersetzt von Walter Seitter, Frankfurt am Main 1976, S. 71.

 

Layout by Dominik Greifenberg