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Ehre und Gewalt in der Frühen Neuzeit
von Carsten Kempkes

Der Mordfall Lackum bietet in vielfältiger Hinsicht Einblicke in die Ehrvorstellungen der Menschen in der Frühen Neuzeit. Zunächst ist zu klären, was unter dem Begriff Ehre zu verstehen ist.

Was ist Ehre?
Die Ehre ist laut Martin Dinges „ein Code, der sich aus Wörtern, Gesten, Handlungen und deren Unterlassung“1 zusammensetzt. Beschäftigt man sich mit ehrverletzenden Schimpfwörtern, so stellt man fest, dass die alltägliche Ehre z. B. geschlechtsspezifisch ganz unterschiedliche Merkmale aufweisen konnte. Frauen wurden häufig anders als Männer beleidigt („Hure“), Männer anders als Frauen („Schelm“, „Dieb“). Auch Mimik und Gestik konnten entscheidende Informationsträger sein, um den Ehrcode zur Geltung zu bringen.
Ähnliches gilt für konkrete Handlungen. So konnten das Wechseln der Straßenseite, jemanden nicht gebührend zu beachten oder andere provokante Verhaltensweisen ebenso ein Teil dieses gesellschaftlichen Codes sein.2 Die ältere historische Forschung hat die Ehre eher als ein „standesgebundenes Differenzierungsmerkmal“3 betrachtet, das die ständische Gesellschaft des Mittelalters und der Frühen Neuzeit von der modernen Klassengesellschaft trennt. In neueren Arbeiten wird betont, dass es in der Frühen Neuzeit viele verschiedene Ehrkonzepte innerhalb verschiedener Schichten gab. Auch in den Lebenswelten der einfachen Menschen spielten sie eine große Rolle.4

Die gesellschaftliche Bedeutung der Ehre in der Frühen Neuzeit
In der frühen Neuzeit wurde die Ehre eines Menschen an dessen Stand geknüpft. Ein Bauer hatte demnach weniger Ehre als ein Adeliger. Dieses feste Schema wurde jedoch im alltäglichen Leben durch ein flexibleres Bewertungssystem erweitert. Für die Ehre waren tugendhaftes Verhalten und moralische Qualitäten von großer Bedeutung. Dieses Ehrverständnis war oftmals der zentrale Ansatzpunkt für soziale, wirtschaftliche und politische Beziehungen.5 „Ehrliches Verhalten“ bescherte den Akteuren Einlass in Institutionen. Es brachte Anerkennung, Rückhalt und Unterstützung in den verschiedensten Lebenssituationen.6 Demzufolge war den Menschen in der Frühen Neuzeit ihr guter Ruf sehr wichtig. Die Ehre stellte die Grundlage für das Verhältnis zu den Nachbarn, materiellen Erfolg, gute Heiratschancen und für die Bekleidung eines Amtes in der Dorf- oder Stadtgemeinschaft dar.7 Ehre war damit ein „symbolisches Kapital“, das man unter Umständen in ökonomisches Kapital umwandeln konnte.8

Der Zusammenhang von Ehre und Gewalt – Beleidigung als Angriff auf die Existenz
Das Prinzip der Ehre führte zu Gewalttätigkeiten, wenn sie über Beschimpfungen in Frage gestellt wurde. Wenn eine Person in der Frühen Neuzeit in ihrer Ehre verletzt wurde, befand sie sich in einer bedrohlichen Situation. Verteidigte die Person ihre Ehre nicht, dann bestand die Gefahr, an Respekt einzubüßen. Nur wenn man sich im Blick der Öffentlichkeit ausreichend zur Wehr setzte, hatte man seine Ehre unter Beweis gestellt. Verteidigte man sich nicht angemessen, konnte man in die Isolation geraten. Da die Ehre existentiell wichtig war, reagierten viele Menschen auf ihre Verletzung mit körperlicher Gewalt.9

War die Frühe Neuzeit durch Gewalt geprägt?
Neuere Forschungen über Alltagskonflikte haben ergeben, dass das Ehrbewusstsein der Menschen in der Frühen Neuzeit häufig zu Gewalt führte. Doch auch der frühmoderne Staat wendete häufig Gewalt an. Nicht zu vergessen ist die systematische Institutionalisierung der Folter (Hexenprozesse) in der Frühen Neuzeit mit dem Ziel,ein Geständnis zu erzwingen.10 Andererseits verwiesen zahlreiche Menschen, die von der staatlichen Justiz bedroht wurden, auf ihre Ehre, um Folter, Gefängnis und Bestrafungen zu entgehen. Im Fall Lackum zeigt sich, dass sogar die Familienmitglieder hingerichteter Menschen um deren Ehre und ihre eigene kämpften.


Quellenauszüge

Beschimpfungen, Scheltworte

Wahr daß ernanter Diederich ihme Jasperen daruff abermahl weder furgehaltenn, du hast doch auch zu deiner Huren gesagt, meinem Vatter und Bruder hetten denn Entliebtten thoedt geschlagenn, unnd solches hatt Adrian gehortt.
Wahr daß  vielgmelter Jasper daruff vederumb geanthwortt, daß leucht [lügt] Adriaen alß ein Schelm unnd dieb [...]“

Im Fall Lackum wurde über gegenseitige Beschimpfungen zwischen Dietrich Lackum und Jasper von der Ruhr berichtet. Auch hier tauchen die gängigen Scheltworte „Schelm“und „Dieb“ sowie der für Beschimpfungen von Frauen häufig verwendete Begriff „Hure“ auf. Der ebenfalls äußerst verächtliche Begriff „Schelm“ hatte ursprünglich die Bedeutung „Aas“ und war oftmals auf die unehrlichen Abdecker bezogen.

Ehrenkränkungen und ihre Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage

Weill nhun solche ausgerichte sententia zu reformiren unmoglich, aber mir armer verkalter wittiben eine verkurtzungh des lebens, meinen betruibten kinderen, die sich hin und widder ihres gewerbs und negotiation ernherenn mußen, ein ewige schandt und entbrechung ihrer zeitlicher nharungh sein wolle [..] (LAV NRW W, RKG 24, Bd. 2, fol. 127v).

Unmittelbar nach dem Tod ihres Mannes und der Zurschaustellung des Körpers auf dem Rad bat die Witwe Agnes Lackum darum, den Körper dort abnehmen und christlich begraben lassen zu dürfen. Sie argumentierte u.a. damit, daß ihre Kinder im Erwerbsleben Nachteile dadurch erhielten.

1 Dinges, Martin: Die Ehre als Thema der historischen Anthropologie, in: Klaus Schreiner u. Gerd Schwerhoff (Hrsg.), Verletzte Ehre – Ehrkonflikte in Gesellschaften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Köln u. a. 1995 (im Folgenden zitiert als: Dinges, 1995), S. 29-62; S. 53 [Norm und Struktur, Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und Früher Neuzeit, Bd. 5].

2 Dinges, 1995, S. 53.

3 Backmann, Sibylle / Künast, Hans-Jörg: Einführung, in: Sibylle Backmann u. a. (Hrsg.), Ehrkonzepte in der Frühen Neuzeit. Identitäten und Abgrenzungen, Berlin 1998 (im Folgenden zitiert als: Backmann / Künast, 1998), S. 13-23; S. 14 [Institut für europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg, Colloquia Augustana, Bd. 8].

4 Backmann / Künast, 1998, S. 14f.

5 Rublack, Ulinka: Anschläge auf die Ehre: Schmähschriften und -Zeichen in der städtischen Kultur des Ancien Régime, in: Klaus Schreiner u. Gerd Schwerhoff (Hrsg.), Verletzte Ehre – Ehrkonflikte in Gesellschaften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Köln u. a. 1995, S. 381-411; S. 381 [Norm und Struktur, Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und Früher Neuzeit, Bd. 5].

6 Backmann / Künast, 1998, S. 15.

7 Dülmen, Richard van: Der ehrlose Mensch. Unehrlichkeit und soziale Ausgrenzung in der Frühen Neuzeit, Köln u. a. 1999 (im Folgenden zitiert als: Dülmen, 1999), S. 1.

8 Backmann / Künast, 1998, S. 15. Der Begriff des „symbolischen Kapitals“ stammt vom französischen Soziologen Pierre Bourdieu. Vgl. hierzu Fuchs, Ralf-Peter: Um die Ehre. Westfälische Beleidigungsprozesse vor dem Reichskammergericht 1525-1805, Paderborn 1999 (im Folgenden zitiert als: Fuchs, 1999), S. 20ff. [Westfälisches Institut für Regionalgeschichte, Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Münster, Forschungen zur Regionalgeschichte, Bd. 28]. ; Bourdieu, Pierre: Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1979, S. 335ff.

9 Waardt, Hans de: Ehrenhändel, Gewalt und Liminalität: Ein Konzeptualisierungsvorschlag, in: Klaus Schreiner u. Gerd Schwerhoff (Hrsg.), Verletzte Ehre – Ehrkonflikte in Gesellschaften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Köln u. a. 1995 (im Folgenden zitiert als: Waardt, 1995);, S. 303-319; S. 313 [Norm und Struktur, Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und Früher Neuzeit, Bd. 5]. auch bei Dülmen,1999, S. 2, wird der Zusammenhang von Ehre und Existenz herausgestellt.

10 Dinges, Martin: Formenwandel der Gewalt in der Neuzeit. Zur Krititk der Zivilisationstheorie von Norbert Elias, in: Rolf Peter Sieferle u. Helga Breuninger (Hrsg.), Kulturen der Gewalt. Ritualisierung und Symbolisierung von Gewalt in der Geschichte, Frankfurt a. M. 1998, S. 171-194; S. 181.

 

Layout by Dominik Greifenberg