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Eine Bahrprobe und ihre ersten Hinweise
von Stephan Chilla

Aus heutiger Sicht erscheint eine Bahrprobe als altertümliches Ritual: Ein vermeintlicher Totschläger oder Mörder wurde mit dem Opfer konfrontiert, dessen aufgebahrter Leib Auskunft darüber geben sollte, ob der des Verbrechens Bezichtigte der Tatverantwortliche war. Die Verifizierung der Täterhypothese sollte durch neuerlichen Blutaustritt aus den Wunden oder sonstige Veränderungen an der Leiche erfolgen.1

Welcher Glaube steckte hinter diesem Ritual?
Die Frage ist schwierig zu beantworten, da die Quellenlage sehr dünn ist. Es lässt sich allerdings erkennen, dass die Grundsätze auf magischen Vorstellungen basieren. Die Bahrprobe ist damit erklärt worden, dass man das menschliche Blut als Träger der Seele angesehen habe. In einer christlichen Welt ging man zudem davon aus, dass sich der Wille Gottes, der das Recht auf Erden durchsetzen wolle, darin offenbare.2

Die Quellen- und Rechtssituation

swelher sî unschuldic, der lâze daz gesehen;
der sol zuo der bâre vor den liuten gên.
dâ bî mac man die wârheit harte schíeré verstên.

Daz ist ein michel wunder; vil dicke ez noch geschiht:
swâ man den mortmeilen bî dem tôten siht,
sô bluotent im die wunden, als ouch dâ geschach.
dâ von man die schulde dâ ze Hagene gesach.“3

Dies ist das älteste Dokument, das eine Bahrprobe schildert. Im Nibelungenlied aus dem 12. Jahrhundert wird Hagen anhand der wiedereinsetzenden Blutung an Siegfrieds Leichnam als der Schuldige an dessen Tod identifiziert. Zwar handelt es sich um eine literarische Quelle, vermuten lässt sich aber doch, dass die Praxis allgemein bekannt war. Gesetzlich fixiert wird das Bahrrecht zum ersten Mal im 14. Jahrhundert. Ein Beispiel liefert das Rechtsbuch des Rupert von Freising aus dem Jahre 1328, wo es heißt:

man soll den Toten ausgraben, seine Wunden mit Wasser und Wein waschen und sie dann trocknen lassen; der Beschuldigte soll dreimal auf seinen Knien um die Bahre gehen, soll den Toten küssen und diese Worte sprechen: „ ich ziuch an got und an dich, daz ich an deinem tot unschuldich pin... habent sich die wunten verchert , daz si trorich sint, so ist er des tots schuldich.“ 4

Diese Quellen dienen vor allem zur Verdeutlichung, wie eine Bahrprobe vor sich zu gehen hatte. Keinesfalls lässt sich daraus ableiten, dass das Bahrrecht in allen Regionen des Reiches praktiziert wurde.

Die Bahrprobe im Fall Lackum
Auch im Mordfall Lackum hat die Bahrprobe Bedeutung.So gab es eine richterlich angeordnete Probe, in welcher der Verdächtige Jasper von der Ruhr mit dem Leichnam des Mordopfers Johann konfrontiert wurde. Die Akte überliefert, dass der Richter heftig ein Zeichen gefordert habe, nachdem er Jasper angewiesen habe, seine Hand in die des Toten zu legen. Die Gegenüberstellung hätte keine blutenden Wunden ergeben, also Jasper entlastet. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass behauptet wurde, Georg Lackum hätte zuvor versucht, eine Bahrprobe zu verhindern. Zu Richter und Pastor von Wetter habe er gesagt:

waß ehr viele wercks darumb machen wolle, ehr (also Johann) wehre doch nhu hin.“5

In der Prozessakte Lackum ist ein Vorfall überliefert, der uns ebenfalls vom Glauben an die Bahrprobe im Amt Wetter um 1590 unterrichtet. Als der tote Johann aus der Ruhr geborgen worden sei, seien sowohl Georg als auch Anton Lackum anwesend gewesen. Letzterer habe sich zunächst geweigert, tatkräftig zur Seite zu stehen. Aufgefordert durch den eigenen Vater sei er es aber letztlich gewesen, der den Kopf des Toten angehoben habe, um die Identifikation zu ermöglichen. Zeugen, unter ihnen der Vicarius von Wetter, sagten später aus, in eben dieser Situation sei ihnen aufgefallen, dass die Wunden des Leichnams erneut zu bluten angefangen hätten, als wären sie frisch gewesen. Nachträglich wurde mit dem Bericht über diesen Vorfall die Verhaftung und Verurteilung von Georg und Anton Lackum legitimiert.


Quellenauszüge

Wie dan zum zwei und zwantzigsten wahr, daß sie derwegen ihnen Cosper [= Jasper von der Ruhr], unangesehen ehr dazumahl kranckh wahre auß befelch der obrigheitt bei den thodten gebracht und vorsuichen wollen, ob ehr zeichen geben wollte.
Aber zum drie und zwanzigsten wahr, daß solches ein ungewiße prob ist, dar ein thodter leichnam in dem waßer gefunden und darauß gezogenn wirdt, ein bloedighes
teichen von sich gebenn solde.“ (LAV NRW W, RKG 24, Bd. 2, fol. 219r-219v)

Ähnlich wie die Wasserprobe, die bei Hexereiverdacht vollzogen wurde, war auch die Bahrprobe innerhalb der Juristenschaft umstritten. Insbesondere die Rechtsgelehrten lehnten derartige Verfahren, die mündlich tradiert waren, zumeist ab. Der Richter von Wetter, Dietrich Werning, griff dagegen in der Rechtspraxis durchaus auf mündliche Überlieferung zurück. So gab er an, über das Verfahren in Mordfällen vor längerer Zeit von seinem damals kranken und bettlägerigen Vorgänger Everhardus Pleßman unterrichtet worden zu sein. Pleßman sei 1559 mit einem Fall konfontiert worden, der dem Fall Lackum stark geähnelt habe.

1 Ogris, Werner: Art. Bahrprobe, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 1 (2008), Sp. 408-410.

2 Müller-Bergström, Walther: Art. Ordal, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, 3 (1930/1931), Sp. 999-1001.

3 „Jeder, der unschuldig ist, lasse dies sehen: er soll vor allen Leuten zu der Bahre gehen. Dabei wird man die Wahrheit sehr schnell erkennen.“
Das ist nämlich ein großes Wunder, das sehr oft auch heute noch geschieht. Wo immer man den Mordbefleckten bei dem Toten sieht, so bluten dessen Wunden, wie es auch da der Fall war. Deshalb sah man, dass die Schuld bei Hagen lag. Siehe: Bartsch, Karl / Boor, Helmut de (Hgg.): Das Niebelungenlied. Ins Neuhochdeutsche übersetzt und kommentiert, Stuttgart 1999.

4 Müller-Bergström, Walther: Art. Ordal, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, 3 (1930/1931), Sp. 1048.

5 LAV NRW W, RKG L 24, Bd. 2, fol. 61r

 

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